Programm

Friedrich Schiller: Wilhelm Tell (1804)

Schillers volkstümliches Schauspiel verknüpft das Einzelschicksal des Meisterschützen Wilhelm Tell aus der bekannten Schweizer Sage mit dem historisch belegten Freiheitskampf der Schweizer Kantone Uri, Schwyz und Unterwalden gegen die habsburgische Fremdherrschaft Anfang des 14. Jahrhunderts.
In die idyllische Welt der Schweizer, die in tradierten patriarchalischen Beziehungen leben, brechen mit den Vögten des habsburgischen Kaisers, die die freiheitlich gesinnte Bevölkerung zu Frondiensten heranziehen, Macht und Willkür ein. Baumgarten aus Unterwalden wird von habsburgischen Reitern verfolgt, weil er einen kaiserlichen Vogt, der seine Frau vergewaltigen wollte, mit der Axt erschlagen hat. Mit Hilfe Tells gelangt er trotz eines Unwetters über den Vierwaldstätter See nach Schwyz. Der wegen eines Konflikts mit den Habsburgern nach Uri geflohene Melchtal erfährt, dass die Knechte des Vogts seinem Vater beide Augen ausgestochen haben.
Die Schweizer formieren sich angesichts der Tyrannei zu einem Kollektiv, in dem sich der Einzelne unter Verzicht auf persönliche Rache in den Dienst der Allgemeinheit stellt. Nachts auf dem Rütli wird der Bund gegen die Habsburger und ein bestimmter Tag des Aufstands beschworen. Unterstützt wird das Volk vom Freiherrn von Attinghausen, Vertreter des Landadels; sein Neffe Rudenz jedoch, der um das reiche Ritterfräulein Berta von Bruneck wirbt, hält es zunächst mit den Habsburgern. Berta von Bruneck aber offenbart Rudenz, dass sie auf der Seite der Schweizer steht, und gewinnt den Adeligen für die Interessen seines Volkes.
Wilhelm Tell, Einzelgänger und Außenseiter, der auf individuelle Tatkraft und Stärke baut und naiv darauf vertraut, dass die habsburgische Fremdherrschaft wie ein Naturvorgang von selbst wieder verschwinden werde, hat am Rütli-Schwur nicht teilgenommen.


Seine Fehleinschätzung der politischen Situation muss er in der Apfelschuss-Szene erkennen. Geßler, Reichsvogt in Schwyz und Uri, hat in Altdorf als Symbol habsburgischer Herrschaft eine Stange mit einem Hut aufstellen lassen, der ehrerbietig zu grüßen ist. Zusammen mit seinem Sohn geht Tell achtlos daran vorüber. Die unterlassene Huldigung wird von Geßler bestraft. Tell ist gezwungen, das Leben seines Sohnes, dem er einen Apfel vom Kopf schießen muss, aufs Spiel zu setzen, um sein eigenes Leben und das seines Kindes zu retten.
Diese dramatische Situation erschüttert sein naives Vertrauen, und er beschließt, Geßler als Repräsentanten der Tyrannenherrschaft zu beseitigen. Er rechtfertigt dieses damit, dass der geplante privat motivierte Mord an Geßler gerechte Notwehr und Dienst an der Allgemeinheit sei, und erschießt Geßler in der „Hohlen Gasse“ bei Küßnacht. Tells Akt der Selbsthilfe löst den Aufstand vorzeitig aus. Durch individuelles und kollektives Handeln wird die Fremdherrschaft abgeschüttelt. Die alten patriarchalischen Herrschaftsstrukturen werden überwunden in einer Gemeinschaft der Freien und Ebenbürtigen (Berta von Bruneck verzichtet auf ihre Adelsprivilegien, Rudenz erklärt seine Knechte zu freien Schweizern). Tell wird von den freien Schweizern als Retter und Held gefeiert.
Das Drama spiegelt Schillers Auseinandersetzung mit der Französischen Revolution, der Napoleonischen Ära und der deutschen Gegenwart seiner Zeit. Bis heute hat Schillers „Wilhelm Tell“ maßgeblich das schweizerische Nationalgefühl geprägt: Bei den Tellspielen von Unterlaken und Altdorf gilt er nach wie vor als Medium schweizerischer Selbstdarstellung.


Claus-Hinrich Müller:
WILLI TELL

Spielleitung   Beate Ladewig, Ulrike Manßen
Technik   Frerk Froböse, Florian Meinen

Willi Tell   Andreas Wagho
Hedwig (seine Gattin)   Janine Köpken
Hildegard (seine Tochter)   Julika Hartmann
Frau von Attinghausen   Jessica Väth
Ulrich von Rudenz   Christoph Sextroh
Berta von Bruneck   Sara Bohemann
Baumgarten   Heike Flatau
Walter Fürst   Till Siefjediers
Melchtal   Viktoria Heckendorf
Pfarrer Rösselmann   Knut Cramer
Ulrich der Schmied   Stephanie Focken
Stauffacher   Katrin Tillmanns
Gertrud (seine Gattin)   Viviane van Diedenhoven

Geßler (K. von Tillendorf)   Julius Everling
Frau von Harras   Insa Wagner

Regisseur   Frerk Froböse
Erzählerinnen   Lena Hempen, Danja Mourad
Kellnerin/Händlerin   Marina Onken

Weitere Mitwirkende:  Tino Bulmahn, Paul Claus, Mareike Engelken,
Jutta Fortmann, Anne Sander, Birgit Oelbermann (Horn)

Plakat   Kristina Wittkopf
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Pause nach dem 6. Bild


Max Frisch: Wilhelm Tell für die Schule (1971)

Vor und nach Schiller hat der Tell-Stoff zahlreiche Bearbeitungen erfahren, wobei in neuerer Zeit eine Entmythisierung zu beobachten ist, so auch in Max Frischs Erzählung „Wilhelm Tell für die Schule“. In dieser witzig-polemischen Neufassung erzählt Frisch die Fabel ironisch nach und versieht sie mit einer Collage von Anmerkungen aus älteren und neueren Quellen, die kritisch gegen eine idealisierte Deutung sprechen und zugleich den an Schiller anknüpfenden nationalen Mythos vom Schweizer Freiheitskampf demontieren.

„Gaben sie´s [die Schweizer] zu, daß ihnen der Pfad über den Sankt Gotthard viel Nutzen brachte, Gewinn durch allerlei Handel mit habsburgischen Ländern, so verdankten sie es Gott, keinem anderen als Gott, der ab und zu eine Lawine fahren ließ, im übrigen aber sich nicht einmischte wie die Herren von Habsburg.“
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„Eine Schmeißfliege, die in der Kammer sirrte und sich nicht erwischen ließ, hinderte den dicklichen Ritter, politisch zu denken; er vermochte nur zu hoffen.“

Aus: Max Frisch,Wilhelm Tell für die Schule, Frankfurt am Main 1971


 Claus-Heinrich Müller: Willi Tell (1999)

Unser in der Schultheaterpraxis entstandenes Stück wurde von C.-H. Müller verfasst und mit Schülerinnen und Schülern der 10. bei 12. Jahrgangsstufe weiterentwickelt. „Willi Tell“ ist eine Persiflage auf den Tell-Stoff von Schiller und Frisch, „der mit viel Spaß ´gegen den Strich gebürstet` worden ist“ (Müller).

Kein Tell-Spiel ohne Rütli-Schwur, Apfelschuss und Geßlers Tod in der Hohlen Gasse. Aber die Eidgenossen in „Willi Tell“, die den Aufstand beschließen, wissen sehr zum Unwillen der resoluten Frau von Attinghausen auch manch habsburgische Errungenschaft zu schätzen: z.B. die öffentliche Ordnung und den Wein.
Willi ist zu Hause ein ausgemachter Depp, Pantoffel- und Maulheld, der sich jedoch, den Tiraden seiner nörgelnden Ehefrau Hedwig ausgeliefert, auf zwei Gebieten auszukennen scheint: in der Liebe und in der Schießkunst. Immerhin hat er ein Verhältnis mit Gertrud Stauffacher und besitzt drei Armbrüste.
Nicht ganz unschuldig am Apfelschuss ist seine vorlaute Tochter Hildegard, laut Geßler eine „Nervtüte“, die so lange mit den Schießkünsten ihres Vaters prahlt, bis Geßler die Nerven verliert. Geßler, dem nur daran gelegen ist, möglichst schnell seinen habsburgischen Dienstvorschriften zu genügen, leidet vornehmlich unter den Annäherungsversuchen Berta von Brunecks, dem Föhn und den sich ständig wiederholenden Grundnahrungsmitteln Brot und Käse. Er will nur noch das Land verlassen, und dennoch ereilt ihn sein Schicksal in der Hohlen Gasse. Wie kann aus dieser Geschichte des 14. Jahrhunderts Schillers „Wilhelm Tell“ werden? Auch darauf gibt das Stück eine Antwort.