Programm

Kugeln überm Broadway

Allen Stewart Konigsberg alias Woody Allen ist ein Multi-Talent: Während er in jungen Jahren als Gagschreiber für Showgrößen und als Komiker in Nachtclubs von New York bis Las Vegas in Erscheinung trat, begeistert er sein Publikum heute als Schriftsteller, Drehbuchautor, Regisseur und Schauspieler.
In vielen seiner oft autobiographischen Filme konfrontiert er leicht skurrile bis neurotische Typen mit den Widrigkeiten des Alltagslebens und zugleich mit existentiellen Themen wie Liebe und Tod. Zu seinen größten Erfolgen zählen „Was Sie schon immer über Sex wissen wollten …“ (1972), „Der Stadtneurotiker“ (1977), „Manhattan“ (1979), „Hannah und ihre Schwestern“ (1986), „Bullets over Broadway“ (1994) und „Geliebte Aphrodite“ (1995).
In der Bühnenfassung des Films „Bullets over Broadway“, einer Backstage-Story um die Entstehung eines Stücks, setzt Allen sich auf hintergründig-ironische Weise mit dem Theaterbetrieb auseinander und persifliert zugleich das Genre des Gangsterfilms. Er historisiert den Stoff und projiziert ihn in die späten 20er Jahre, in die Zeit und Welt des organisierten Verbrechens, der Killer und Mafiabosse, der Prohibition, des Tingeltangels und des Broadway.
David Shayne, junger aufstrebender Bühnenautor und Regisseur, hofft mit „Gott unserer Väter“, einem langweiligen sozialkritischen Drama, den Durchbruch zu schaffen, zumal auch seine Agentin Julia Marx von der „Botschaft“ des Stücks überzeugt ist. Da das amerikanische Theater nicht subventioniert wird, muss für die Produktion Geld aufgetrieben werden. Nick Valenti, ein Mafiaboss, ist bereit, sämtliche Kosten zu übernehmen. Allerdings ist sein finanzielles Engagement daran geknüpft, dass seine Geliebte, das unglaublich unbegabte Revuegirl Olive Neil, die Hauptrolle spielt. Die Nerven David Shaynes und der Akteure – der alternden Diva Helen Sinclair, des fresssüchtigen Warner Purcell und der naiven Hundenärrin Eden Brent – werden zudem durch Olives Bodyguard Cheech arg strapaziert, der sich kritischer Anmerkungen zum Stück wie „gequirlte Scheiße“ nicht enthalten kann. Erstklassige Voraussetzungen für ein Desaster, oder?


KUGELN ÜBERM BROADWAY

Für die Bühne bearbeitet und übersetzt von Jürgen Fischer

Spielleitung   Beate Ladewig, Ulrike Manßen
Bühne und Technik  
Cijam Moschref, Jonas Roßkamp
Kulissen- u. Requisitenbau   Julienne Tammen und
Mitglieder des Ensemble
Plakat   Malte Hoff, Beate Ladewig,
Ulrike Manßen

P E R S O N E N

David Shayne (Theaterautor)   Nels Acquistapace
Julia Marx (seine Agentin)   Eske Giesmann
Ellen (seine Freundin)   Anna Hobbiebrunken
Sheldon Flender (sein Freund)   Sören Lindemann

Nick Valenti (Gangsterboss)   Arnaud Boehmann
Olive Neal (Valentis Freundin)   Ulrike Schubart
Cheech (Gangster)   Maximilian Reicht
Aldo (Gangster)   Hauke Ulken
Rocco (Gangster)   Ciam Moschref
Enrico (Gangster)   Minh-Thao Trinh

Helen Sinclair (Schauspielerin)   Kea Brunken
Warner Purcell (Schauspieler)   Thorge Schulte
Eden Brent (Schauspielerin)   Antonia Rühle
Mitch (Inspizientin)   Neeske Borchers
Bühnenarbeiter   Tabea Bleßmann, Mirjam Kühn,
Mareike Rudolph, Julia Kluttig

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Die Gruppe der Schauspieler ist der reinste Zoo

Die Geschichte könnte sich heute so nicht abspielen; die Theaterwelt hat sich verändert und die Gangsterwelt erst recht. Wenn man Vergangenheit wiedererstehen lässt, überzieht sich alles mit einer Art Patina, wir müssen darauf achten, dass sie keine Kratzer bekommt. Eine solche Wiederbelebung eröffnet neue Möglichkeiten; die Fesseln des psychologischen Realismus behindern uns nicht mehr.

Das Thema von „Bullets over Broadway“ ist ästhetisch. Es ist ein Film über die Kunst und über die Bedeutung von Kunst. Es geht darum, wie sich Gruppen von Menschen zur Kunst verhalten und wie sich Menschen nach bestimmten Modellen modeln. Die Bohème-Künstler und auch die Gangster handeln genauso, wie die Leute es von ihnen erwarten – mit Ausnahme von einem, und er ist der wahre Künstler.

Heute halten sich die Leute schon deshalb für Künstler, weil sie ein Bohème-Leben führen. Sie glauben, es genüge, Käse zu essen und Rotwein zu trinken. Aber sie können lange über Kunst und Literatur debattieren, auf einer tieferen Ebene bleiben sie Angehörige des Bürgertums.
Ein Künstler kann auch ein Hoteldieb sein, ein Killer, ein Müllmann, aber er hat etwas, das man auf der Kunstakademie nicht lernen kann.

Die Gruppe der Schauspieler ist der reinste Zoo. Ich habe kaum übertrieben. Schauspieler, auch wenn sie nicht auf der Bühne stehen, stellen immer etwas dar, erfinden unglaubwürdige, oft lächerliche oder erbärmliche Figuren. Das hat nichts mit der Qualität ihrer Arbeit zu tun. Auf ihre Weise sind sie alle verrückt.

Das ist das Besondere am Theater: Die Leute bleiben so lange zusammen, arbeiten  zusammen, und es existiert nichts für sie außer dem Stück […]

Aus: Stig Bormann: Woody über Woody, Köln 1995.


Mittlere Wahrheit und Einführung in Gott

Früher habe ich in Manhattan gelebt, auf der Eastside, in einem kleinen Haus, und ich wurde ständig überfallen und ausgeraubt und im Gesicht und Hals sadistisch malträtiert. Also zog ich in ein Apartmenthaus mit Portier an der Park Avenue, wo alles sicher und teuer ist. Dort habe ich zwei Wochen gewohnt, und mein Portier hat mich überfallen.

Ich selbst habe an der New Yorker Universität studiert, Hauptfach Philosophie. Ich habe alle Kurse in abstrakter Philosophie belegt, wie Wahrheit und Schönheit und Fortgeschrittene Wahrheit und Schönheit und Mittlere Wahrheit und Einführung in Gott. Tod 101. Nach einem Semester haben sie mich rausgeschmissen. Bei der Klausur in Metaphysik hab ich gespickt. Ich hab in die Seele des Jungen, der neben mir saß, geschaut. Sie haben mich rausgeschmissen, und meine Mutter, die eine wirklich sensible Frau ist, hat sich im Badezimmer eingesperrt und eine Überdosis Backgammon-Steine geschluckt.

Ich war in einer Gruppentherapie, weil ich mir eine Einzeltherapie nicht leisten konnte. Ich war Kapitän des Softballteams der Latent-Paranoiden. Wir haben jeden Sonntagmorgen gegen die Neurotiker gespielt. Nägelbeißer gegen Bettnässer.

Ich weiß nicht, was ich Ihnen sonst noch über mich erzählen soll. […] Ich war auf der Schauspielschule. Wir haben damals ein Stück von Paddy Chayefsky inszeniert, „Gideon“, und ich habe in diesem Stück Gott gespielt. Und es war method-acting, deshalb habe ich zwei Wochen vorher begonnen, diese Rolle auch im wirklichen Leben zu spielen. Ich kam richtig göttlich raus. Ich war fantastisch. Ich habe mir einen blauen Anzug angezogen und bin im Taxi kreuz und quer durch New York gefahren. Ich hab dicke Trinkgelder gegeben, weil Er das auch getan hätte. Ich hab eine Schlägerei mit einem Typen gehabt und ihm verziehen. Das ist die Wahrheit. Irgendein Typ hat meinen Kotflügel gerammt, und ich sagte ihm: ‚Seid fruchtbar und mehret Euch‘. Aber nicht direkt mit diesen Worten.

Aus: Woody Allen, Das Bilderlesebuch, hrsg. von Linda Sunshine, München 1994.


Theater ist die schwierigste Sache der Welt

Eines Abends, als ich in Denver, Colorado festsaß, geriet ich in eine Tagung von Unterwäschefabrikanten; einige fünfhundert fettbäuchige Fanatiker diskutierten leidenschaftlich ihre Geschäfte. … Wie kurz dürfen Unterhosen sein? Geht es an, dass die amerikanische Flagge unsere Genitalien und Ärsche verziert?

Nur wenige meiner Bühnen-Mitarbeiter in diesem Lande scheinen an ihrem erwählten Beruf ein solches Interesse zu haben. […] Die jüngeren Schauspieler warten auf den sogenannten Durchbruch, der größere Rollen und größere Gagen verheißt; die großen Mimen, die ich gelegentlich in Kantinen und Pissoirs treffe, weichen meiner Neugierde aus, als sei ich ein Spion, der ihnen ein Geheimnis entlocken will. Es gibt keine Geheimnisse. Die Bühne ist nicht ein anderes Land, sondern eine Erweiterung des – sagen wir – Badezimmers. So sehr man es auch versucht, man kann sein Hirn und seine Gedärme nicht an der Garderobe zurücklassen; und wenn man sich hinter einer falschen Nase oder falschen Stimme versteckt, narrt man niemanden als die Narren.

Nichts wird einem gelingen, wenn man nach dem Erfolg schielt. Ich mache Theater nur aus dem einen Grund: es ist die schwierigste Sache der Welt. Das ist sicher pathologisch, ein Signal durch die Flammen, kein Hilfeschrei, sondern eine Einladung zum Feuer. Zumindest weiß ich, dass ich verrückt bin, im Gegensatz zu den Perfektionisten mit ihren frostigen Spektakeln.

Das ist natürlich anmaßend, weil in der Kunst, wie in der Liebe, alle Warum-Fragen mit einem Warum nicht? beantwortet werden können. Der Rest ist Tratsch und Quatsch, verbrämt mit mehr oder weniger eloquentem Blabla, um unsere täglichen Missgeschicke zu rechtfertigen, … Ein ehrlicher Anfang sollte am Nullpunkt beginnen, indem man sagt: „Vielleicht so oder vielleicht so“ oder besser noch: „Nicht so, sondern so“, Ausdruck des Zweifels, der den Künstler vom Macher unterscheidet.

Aus: George Tabori: Betrachtungen über das Feigenblatt, Frankfurt/Main 1993.