Programm

DER FLORENTINERHUT

Als sich Fadinard, der Held des Stückes, anschickt, seine Braut Hélène zu ehelichen, überstürzen sich kurz vor der standesamtlichen Trauung die Ereignisse. Kleine Ursachen, große Wirkungen – der Lawineneffekt. In diesem besonderen Fall: Fadinards Pferd frisst einen mit Mohn-blumen garnierten Florentinerhut, und seine Hochzeitsgesellschaft gerät aus den Fugen.
Dieser Strohhut gehört Madame Beauperthuis, die ihre sündhaft teure Kopfbedeckung abgelegt hat, damit diese während des sündhaften Treibens mit dem schneidigen Offizier Émile Tavernier im Gebüsch keinen Schaden nimmt. Aus Angst, ihr alter, eifersüchtiger Gatte könnte Verdacht schöpfen, gar auf den Seitensprung aufmerksam werden, fordert sie Fadinard auf, umgehend ein identisches Modell zu beschaffen. Als der hitzköpfige Leutnant dem Bräutigam zudem Gewalt androht, jagt dieser nach dem Hut, während die Hochzeitsgesellschaft langsam ungeduldig wird und ihrerseits nach Fadinard zu jagen beginnt. Die Geschichte einer Flucht und einer gnadenlosen Verfolgung führt Jäger und Gejagten in den Laden einer Modistin, die sich prompt als Fadinards ehemalige Geliebte Clara entpuppt. Mit dem gewünschten Hut kann sie nicht aufwarten, doch sie entsinnt sich einer Kundin, der Baronin von Champigny, die einen solchen Hut bei ihr erworben hat. Während Fadinard vergeblich im Salon der Baronin vorspricht, plündert die Hochzeitsgesellschaft, die sich im angemieteten Gasthof wähnt, den adeligen Speisesaal. Die nächste Etappe der turbulenten Verfolgungsjagd ist ausgerechnet das Schlafgemach des gehörnten Beauperthuis, der das vermisste Requisit natürlich auch nicht hat. Letztlich kehrt Fadinard mit leeren Händen heim und findet dort, wonach er fahndet: den rettenden Florentinerhut.
„Fadinard wäre nie auf den Gedanken gekommen, die alberne Affäre auf sich beruhen zu lassen. Daß der Skandal zu meiden ist, die Fassade immer zu wahren, daran hegt niemand einen Zweifel. Man schwindelt, vertuscht und redet sich um Kopf und Kragen, man hetzt sich ab und landet da, wo alles angefangen hat. Es gibt keine Garantie, daß die Geschichte nicht wieder von vorn losgeht. Denn der Schwank ist wie ein böser Traum. Er spendet allenfalls den kleinen Trost, für diesmal entronnen zu sein.“

(Bernd Wilms)


DER FLORENTINERHUT

Spielleitung   Beate Ladewig, Ulrike Manßen
Bühne und Technik   Thorben Eilers, Malte Hoff, Tristan Oltmanns
Kulissen- u. Requisitenbau   Ensemble-Mitglieder
Kostüme, Maske   Wiebke Ahlers, Marie-Christin Beeken
Plakat   Malte Hoff, André de Wall

PERSONEN

Fadinard, Rentier   Mattes Schmerdtmann
Nonancourt, Besitzer einer Gärtnerei   Hendrik Loysa
Hélène, Nonancourts Tochter   Cosima Lippert
Bobin, Nonancourts Neffe   Jan-Niklas Alberts
Vézinet, Fadinards Tante   Katharina Agena
Félix, Diener bei Fadinard   Patrick Kazperowski
Beauperthuis   Thore Eilers
Anais, Beauperthuis´ Gattin   Inken Rüdebusch
Virginie, Hausmädchen bei Beauperthuis Julia Keller
Émile Tavernier, Leutnant   Maximilian Reicht
Clara, Modistin   Regina Fauerbach
Tardiveau, Buchhalter   Janika Czeszak
Sophie, Angestellte der Modistin   Heide Wilken
Sardou, Beamter   Jan-Niklas Alberts
Baronin de Champigny   Alke Rickels
Achille de Rosalba, Salonlöwe   Sören Lindemann


Clothilde, Zofe der Baronin   Michelle Pitson
Bedienstete I   Sarah Schumacher
Bedienstete II   Katharina Leffers
Nachbar Fadinards   Franjo Borchers
Damen und Herren der Hochzeitsgesellschaft/Salongesellschaft
Tom Ackermann, Luca Beyer, Lucas Bohlken,
Hannah Bredemeyer, Kaya Dählmann, Konstantin Erbes, Christin Heibült,
Marie Simon, Annika Stanislawski, Heide Wilken, Nadine Willms
Blumenkinder   Fenja Böneker, Eske Giesmann

Aufführungsrechte: Rowohlt Theater-Verlag, Hamburg

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„Mein Leben war zu glücklich, als dass meine Biographie interessant sein könnte.“

Eugène Labiche


BOULEVARDTHEATER

London, New York, Paris – zum Weltstadttheater gehört untrennbar das Boulevardtheater, heute wie eh und je. Bereits im Paris des ausgehenden 18. Jahrhunderts entstehen am Boulevard du Temple privatwirtschaftlich geführte Theater, die die Schaubuden der Pariser Jahrmärkte durch feste, repräsentative Spielstätten ersetzen. Mit dem Ausbau dieser Boulevards, durch den sich Paris um die Mitte des 19. Jahrhunderts zur europäischen Großstadt wandelt, erlangen auch die dort gegründeten Bühnen eine zentrale Bedeutung für das gesellschaftliche Leben. Das großstädtische Boulevardtheater bietet vornehmlich für das aufsteigende Bürgertum publikumswirksame Unterhaltungskomödien und gilt als eine der erfolgreichsten Bühnenformen der damaligen Zeit.
Als eigene Variante des Schauspiels bildet das Boulevardtheater die Boulevardkomödie bzw. das Boulevardstück heraus, dessen Themen sich am zeitgenössischen Geschmack orientieren. Der Aufbau dieser Komödie erinnert an die klassische Intrigen- und Verwechs-lungskomödie. Als Charakteristika können virtuose Situationskomik, erotische Anspielungen und überraschende Wendungen gelten. Im Vordergrund stehen meist witzig-pointierte Dialoge und geistreiche Wortspiele, während zeitkritische Gegenstände eher in den Hintergrund treten. Präsentiert werden vor allem Verwicklungen in amouröse Affären, Ehebruchskonflikte, Ursachen und Folgen von Scheinmoral, das Motiv des gesellschaftlichen Aufstiegs sowie der Kontrast zwischen provinzieller und großstädtischer Lebensweise. Diese Themen und Motive weisen eine erkennbare Nähe zum Vaudeville auf, der als Vorläufer des Boulevardstücks gelten kann. Mit seinen Werken steht der Komödiendichter Eugène Scribe, das Vorbild Labiches, für den Übergang vom Vaudeville zur Boulevardkomödie.
Ihren eigentlichen Höhepunkt erreicht diese Komödienform um die Jahrhundertwende. Eugène Labiche, Victorien Sardou, Jean Giraudoux und Sacha Guitry (1885-1957) zählen zu den wichtigsten französischen Autoren des Boulevardtheaters. In England und im deutschen Sprach-raum verbindet sich der französische Einfluss der Boulevardkomödie mit einheimischen Komödientraditionen.


„Ihr, die Ihr abmagert, an Appetitlosigkeit und Schlafstörungen leidet, die Ihr in der schmerzhaften Anstrengung, Euer Innenleben zu analysieren, die sanfte Muskelspannung des Lachens vergessen habt (dies ist das schwerwiegendste Symptom Eurer Krankheit), oh Ihr, die Ihr am Leben verzweifelt, hört mich an: Probiert einmal Labiche, eine Stunde nach dem Essen, und schluckt tapfer den ‚Florentinerhut’ – die Nerven werden sich entspannen, die Heiterkeit wird sich wieder einstellen, die Verdauung kommt in Bewegung und die Lebensfreude kehrt ins Herz zurück, in Wellen, zwischen den Erschütterungen des heilenden Lachens.“

Guy Parigot (1922-2007),
Schauspieler und Regisseur

Für die freundliche Unterstützung danken wir der Arbeitsloseninitiative Ammerland e.V. und dem Baustofffachhandel Ziese.