Programm
Der Besuch der alten Dame
In Güllen, einer heruntergekommenen Provinzstadt, herrscht angespannte Vorfreude: Claire Zachanassian, die reichste Frau der Welt, kommt in ihren Heimatort zurück, den sie vor Jahrzehnten als mittellose Klara Wäscher verlassen hat. Nun hoffen die Güllener, dass sie die völlig verarmte Heimatgemeinde sanieren wird. Mit beeindruckendem Gefolge hält die Milliardärin Einzug in Güllen, wo sie die Anwesenden während eines verlogenen Festbanketts mit einem schockierenden Angebot aufschreckt: Sie will der Stadt eine Milliarde schenken, wenn deren Bürger ihren früheren Geliebten Alfred Ill töten. Er hat die damals schwangere siebzehnjährige Klara einer bürgerlichen Partie wegen verlassen, vor Gericht seine Vaterschaft bestritten und sie damit in der spießigen Güllener Gesellschaft diskreditiert. Das hat die schmachvoll Ausgestoßene zunächst in die Prostitution getrieben, aus der sie sich aber bald durch eine sehr lukrative Heirat hat befreien können. Diverse weitere Eheschließungen haben ihr zu ihrem unermesslichen Reichtum verholfen, so dass sie nun über die Macht verfügt, Güllen einem Racheengel gleich heimzusuchen und die ihr ehedem versagte Gerechtigkeit zu erkaufen.. Obwohl die verarmten Bürger das unmoralische Ansinnen empört zurückweisen, können sie der Versuchung nicht widerstehen und statten sich nach und nach neu aus, leisten sich so manchen Luxus und machen Schulden. Stolz auf die Solidarität der Mitbürger, gewährt auch Ill zunächst bereitwillig Kredit, erkennt dann aber angstvoll die Gefahr zunehmender finanzieller Verbindlichkeiten. Als er in Panik Hilfe bei der Polizei, dem Stadtoberhaupt und der Kirche sucht, muss er erkennen, dass er mehr und mehr allein auf sich gestellt ist. Während die Korrumpierbarkeit der Güllener Gesellschaft durch die Macht des Geldes immer stärker hervortritt, setzt sich zugleich die Haltung durch, dass allein Ill für Claires Schicksal verantwortlich ist und dies nur durch dessen Tod wiedergutgemacht und gesühnt werden kann. Ihre eigenen schuldhaften Verstrickungen in Claires ehemalige Erniedrigung verdrängen die Bürger erfolgreich – anders als Ill, der letztlich reflektiert die Schuld auf sich nimmt und seinen Tod durch die Hand der Güllener Bürger akzeptiert.
Spielleitung | Ulrike Manßen |
Technik | Jordan Fischer, Swantje Zuhse |
Bühnenbau | Niels Rüdiger, Neeltje Sandersfeld Ensemblemitglieder |
Plakat | Lena Pregitzer, Constance Wolter |
Personen
DIE BESUCHER | |
Claire Zachanassian | Merle Theus |
Ihre Gatten VII-IX | Jelle Haase |
Der Butler | Tim Folkerts |
Toby Roby Koby Loby | Noah Folkers Leo Rottmann Nicolas Konrad Greta Menebröcker |
DIE BESUCHTEN | |
Ill | Justus Högemann |
Seine Frau | Lotta Koopmann |
Seine Tochter | Lissa Allhoff |
Sein Sohn | Lukas Gerdes |
Der Bürgermeister | Svea Baumgart |
Der Pfarrer | Marc Frömert |
Der Lehrer | Ida Sandersfeld |
Die Ärztin | Mia Specht |
Der Polizist | Marie Lehmann |
Der Ministrant | Jaspreet Singh |
Der erste Bürger | Jona Specht |
Der zweite Bürger | Dennis Frömert |
Der dritte Bürger | Alea Abels |
Der vierte Bürger | Kira Rebling |
Der Maler | Hannah Glatz |
Erste Frau | Kira Mählmann |
Zweite Frau | Fientje Schmidt |
Fräulein Luise | Rahel Köster |
DIE SONSTIGEN | |
Bahnhofsvorstand | Johanna Langer |
Zugführer | Solveig Liesenhoff |
Kondukteur | Swantje Zuhse |
Pfändungsbeamter | Lotta Ridder |
Turner | Dustin Steiner |
DIE LÄSTIGEN | |
Pressemann I | Ray Hüter |
Pressemann II | Karla Bünnagel |
Radioreporterin | Hedda Thorweger |
Ort: Güllen, eine Kleinstadt
Zeit: Gegenwart
Pause nach dem zweiten Akt
Friedrich Dürrenmatt (1921-1990)
Schon in seiner Kindheit entwickelte Friedrich Dürrenmatt eine Passion für das Zeichnen, und er hätte nach bestandenem Abitur in Bern gern eine Kunsthochschule besucht; dieses blieb ihm jedoch verwehrt, weil seine „phantastischen Bilder“ (Dürrenmatt) im impressionistisch geprägten Bern nicht verstanden und abgelehnt wurden. Enttäuscht studierte er stattdessen Philosophie, daneben auch Naturwissenschaften und Germanistik. Zeitweise arbeitete Dürrenmatt als Zeichner und Grafiker, bis er sich nach ersten Schreibversuchen während seiner Studienzeit nahezu ganz der Literatur zuwandte und Kurzprosa, Kriminalromane, Hörspiele und vor allem Theaterstücke zu verfassen begann. Zudem setzte er sich in theoretischen Schriften mit dem Theater auseinander, führte Regie und lieferte die Drehbuchvorlage zu dem bekannten Kriminalfilm „Es geschah am helllichten Tag“ mit Heinz Rühmann, erst im Nachhinein als Roman unter dem Titel „Das Versprechen“ veröffentlicht. Zu seinen populärsten Werken zählen auch der Kriminalroman „Der Richter und sein Henker“ sowie die Komödien „Romulus der Große“ und „Die Physiker“. Mit der grotesken tragischen Komödie „Der Besuch der alten Dame“, seinem meistgespielten Stück, begründete er seinen Ruf als Bühnenautor von Weltgeltung. Zur Inszenierung des Stückes schreibt Dürrenmatt: „Der Besuch der alten Dame ist eine Geschichte, die sich irgendwo in Mitteleuropa in einer kleinen Stadt ereignet, geschrieben von einem, der sich von diesen Leuten durchaus nicht distanziert und der sich nicht sicher ist, ob er anders handeln würde […] Ich beschreibe Menschen, nicht Marionetten, eine Handlung, keine Allegorie, stelle eine Welt auf, keine Moral, wie man mir bisweilen andichtet. […] Zu den Helden treten die Güllener, Menschen wie wir alle. Sie sind nicht böse zu zeichnen, durchaus nicht; zuerst entschlossen, das Angebot abzulehnen, machen sie nun Schulden, doch nicht im Vorsatz, Ill zu töten, sondern aus Leichtsinn. […] Die Versuchung ist zu groß, die Armut zu bitter. Die Alte Dame ist ein böses Stück, doch gerade deshalb darf es nicht böse, sondern muss aufs humanste wiedergegeben werden, mit Trauer, nicht mit Zorn, doch auch mit Humor, denn nichts schadet dieser Komödie, die tragisch endet, mehr als tierischer Ernst.“
Die Tragödie setzt Schuld, Not, Maß, Übersicht, Verantwortung voraus. In der Wurstelei unseres Jahrhunderts […] gibt es keine Schuldigen und auch keine Verantwortlichen mehr.
Alle können nichts dafür und haben es nicht gewollt. […]
Uns kommt nur noch die Komödie bei.
Friedrich Dürrenmatt
Setze ein Zeichen
Jemand muss es tun. Es ist leicht, mit den anderen mitzulaufen. Es kann ein eigenartiges Gefühl sein, etwas anderes zu tun oder zu sagen. Aber ohne dieses Unbehagen gibt es keine Freiheit. Denk an Rosa Parks. In dem Augenblick, in dem du ein Zeichen setzt, ist der Bann des Status quo gebrochen,
und andere werden folgen.
Timothy Snyder (Professor an der Yale University)
Mit einem kleinen Schieber, mit einem Kanzlisten, mit einem Polizisten läßt sich die heutige Welt besser wiedergeben als mit einem Bundesrat, als mit einem Bundeskanzler. Die Kunst dringt nur noch bis zu den Opfern vor, dringt sie überhaupt zu Menschen, die Mächtigen erreicht sie nicht mehr.
Friedrich Dürrenmatt
Übernimm Verantwortung für das Antlitz der Welt
Die Symbole von heute ermöglichen die Realität von morgen. Achte auf die Hakenkreuze und die anderen Zeichen des Hasses. Schau nicht weg und gewöhne dich nicht daran. Entferne sie selbst und setze damit ein Beispiel für andere, das auch zu tun.
Timothy Snyder
Die Allgemeinheit zieht sich in die Gemeinheit zurück.
Friedrich Dürrenmatt