Programm

LEONCE UND LENA

Der 200. Geburtstag Georg Büchners im Herbst dieses Jahres ist Anlass genug, diesen trotz seiner wenigen Werke bedeutenden Schriftsteller, einen der Bahnbrecher der deutschen Dramatik, in den Blickpunkt zu rücken, dessen einzigartige Arbeiten sowohl zeitkritisch-politisch als auch überzeitlich-existentiell sind. Er zeigt den Menschen als Objekt der Geschichte: den Politiker Danton, der versucht, die Welt zu gestalten, und scheitert, den Prinzen Leonce, der aus der Welt entkommen möchte, jedoch realisieren muss, dass eine Flucht unmöglich ist, sowie den Plebejer Woyzeck, der der Welt ausgeliefert ist und untergeht. Büchners Stücke bestehen aus knappen, dichten Szenen; seine Sprache ist lyrisch-poetisch, aber auch kraftvoll bis derb.
Prinz Leonce, Sohn König Peters vom Reiche Popo, ist von der Welt, ihrem Treiben und ihren Genüssen angeödet und flieht mit seinem närrischen Freund Valerio, für den das Leben allein aus Nichtstun und Essen besteht, vom Hofe seines vertrottelten Vaters in den Süden, nach Italien, wo Tarantella, Tamburin und tolle Nächte locken. Vor allem veranlasst ihn zur Flucht seine bevorstehende, vom König anberaumte Vermählung mit der Prinzessin Lena aus dem Reiche Pipi, die sich dem Ansinnen ihres Vaters, eine Konvenienzehe einzugehen, ebenfalls entzieht, indem sie mit ihrer Gouvernante das Weite sucht. Die voreinander Fliehenden treffen sich, verlieben sich ineinander – unerkannt – und beschließen zu heiraten.
Mangels Brautpaar droht derweil das königliche Hochzeitszeremoniell zu platzen, als in dieser Verwirrung die von Valerio als Automaten verkleideten Leonce und Lena gerade rechtzeitig zum Hofe kommen, um stellvertretend für das vermeintlich abwesende Prinzenpaar verheiratet zu werden. Als die Masken gelüftet werden, erkennen Braut und Bräutigam, dass sie – wie Marionetten geführt – ihrem vorgezeichneten Weg nicht haben entfliehen können.
Der Büchnersche Originaltext erscheint in der vorliegenden modernen Überarbeitung als Stück im Stück, in dem heutige Schauspieler das Lustspiel vorbereiten und als Chorfiguren das Geschehen kommen-tieren und begleiten.


LEONCE UND LENA

Spielleitung   Anna Hobbiebrunken, Beate Ladewig, Ulrike Manßen
Bühne und Technik   Cijam Moschref, Philip Nejhadhashemy
Kulissen- u. Requisitenbau   Ensemble-Mitglieder
Maske   Greta Dolczewski, Eske Giesmann
Plakat    Beate Ladewig, Ulrike Manßen

PERSONEN

Leonce, Prinz von Popo   Stephan Pham
Lena, Prinzessin von Pipi   Johanna Schulze
Valerio, ein Vagabund   Thorge Schulte
König Peter von Popo   Jan Franzen
Rosetta   Aileen Heibült
Gouvernante   Minh-Thao Nguyen
Hofmeister   Inken Giesmann
Polizeidiener   Ben Nienaber, Katharina Margraf
Landrat   Diana Bytyci
Bedienstete   Johannes Bölts, Rebecca Konrad, Lasse Schulze, Wilhelm Sparn
Präsident des Staatsrats   Miguel Wessling
Schulmeister   Fabian Logemann
Kammerdiener   Diana Bytyci, Fabian Logemann
Hofprediger   Weeda Wempen
Zeremonienmeister   Daria Heibült
Staatsrat und Volk   Nels Acquistapace, Johannes Bölts, Inken Giesmann,
Christian Janssen, Rebecca Konrad, Katharina Margraf,


Staatsrat und Volk   Ben Nienaber, Lasse Schulze,
Jared Sirsch und Wilhelm Sparn

Chor
Theo (Genie)   Mika Ammermann
Katharina (Selbstbewusste)   Neeske Borchers
Johanna (Zufriedene)   Antonia Rühle
Florence (Künstlerin)   Ulrike Schubart
Constanze (Pflichtbewusste)   Mareike Tillmans

Regisseur   Eske Giesmann
Mond   Ann-Rieke Röhricht

Musik    Lisa-Marie Fricke, Katharina Melloh, Kaja Nieland

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„Dieser Büchner war ein toller Hund. Nach 23 oder 24 Jahren ver-zichtet er auf weitere Existenz und starb. Es scheint, die Sache war ihm zu dumm.“ (Alfred Döblin)


DER AUTOR GEORG BÜCHNER (1813-1837)

Als erstes Kind des Arztes Ernst Büchner und seiner Frau Caroline, Tochter aus bürgerlichem Hause, wurde Georg Büchner vor 2oo Jahren am 17. Oktober 1813 in Goddelau (Hessen) geboren. In seinem dritten Lebensjahr zog die Familie nach Darmstadt, in die 20000 Einwohner zählende Residenzstadt des Großherzogtums Hessen-Darmstadt, wo Büchner in der Enge eines typischen Kleinstaates des Deutschen Bundes aufwuchs.
Der Tradition der hessischen Wundarztfamilie entsprechend, schrieb sich Büchner im Alter von 18 Jahren für ein Medizinstudium ein. In Straßburg, in einem der Zentren Europas, erlebte Büchner erstmals ein offenes politisches und intellektuelles Klima, geprägt von den Auswirkungen der Pariser Juli-Revolution 1830. Engagiert nahm er an Diskussionen mit Kommilitonen über soziale und politische Fragen teil und entwickelte freiheitlich-republikanische Ideen.
Zu seinem Verdruss genötigt, als Untertan des hessischen Großherzogs seine Studien in der Heimat abzuschließen, kehrte er nach Gießen zurück und musste dort die Eingeschränktheit der Lehre sowie die Schikanen des feudalistischen Obrigkeitsstaates mit seinen ungerechten Gesellschaftsstrukturen erfahren. Einerseits litt er immer wieder an Depressionen, andererseits entwickelte er sich zum politischen Revolutionär, der gegen materielles Elend und politische Oppression der niederen Stände kämpfte. Agitatorisch führte er diesen Kampf in der von ihm 1834 gegründeten revolutionären Geheimorganisation „Gesellschaft der Menschenrechte“ und in der von ihm im Geheimen verbreiteten Flugschrift „Der Hessische Landbote“. Als Verfasser staatsfeindlicher Schriften denunziert, wurde er schließlich steck-brieflich gesucht und floh nach Straßburg. Um seinen Lebensunterhalt zu sichern, übersetzte er französische Literatur und verfasste nach dem im Vorjahr erschienenen Drama „Dantons Tod“ die Erzählung „Lenz“, das Lustspiel „Leonce und Lena“ sowie das Dramenfragment „Woyzeck“. Gleichzeitig nahm er ein naturwissenschaftliches Studium auf, promovierte 1836 und wurde als Privatdozent an der Universität in Zürich aufgenommen, wo er nach drei Monaten an Typhus erkrankte und am 19. Februar im Alter von nur 23 Jahren starb.


König Peter:
Der Mensch muss denken, und ich muss für meine Untertanen denken; denn sie denken nicht, sie denken nicht.

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Leonce:
Mein Leben gähnt mich an wie ein großer weißer Bogen Papier, den ich vollschreiben soll, aber ich bringe keinen Buchstaben heraus.

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Mond:
Ach so, die Liebe! Am Ende doch wieder die Liebe. […] Was habt ihr da bloß erfunden und unerreichbar hoch in den Himmel gehängt? Die Liebe soll alle Vernunft besiegen. Sie soll über euch kommen wie ein Wunder. Ein einziges Wunder, nur ein einziges, mit dem Einen, der Einzigen. Und es soll ewig dauern. Oh je!

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Valerio:
Eure Hoheiten sind wahrhaftig durch den Zufall einander zugefallen; ich hoffe, Sie werden dem Zufall zu Gefallen – Gefallen aneinander finden.