Programm
Carlo Goldoni: Viel Lärm in Chiozza (1762)
Diese Komödie ist vor allem witzig und laut: Ständig wird provoziert, gezankt, gestritten, gekreischt, gelogen, geflucht, gewimmert, geheult, aufgestampft, gekämpft und mit Schimpfwörtern um sich geworfen. Man verwünscht sich gegenseitig, jagt sich zum Teufel oder in die Hölle – allein oder mit anderen, am liebsten in der Masse und wild durcheinander. Die Unmittelbarkeit, mit der Goldoni in diesem Werk die in Freude und Wut entflammten Charaktere aufeinandertreffen lässt, steht wahrlich für ein „vielstimmiges Theater“.
Die Chiozzotten führen ein einfaches, hartes, wenig abwechslungsreiches Leben. Vor ihren Häusern sitzen gelangweilte Frauen und unterhalten sich über ihre Männer, die schon mehrere Monate auf See sind. Durch eine Nichtigkeit arten Klatsch und Tratsch rasch in offenes Gezänk aus.
Das Geschwätz von Lucietta, der ebenso dominanten wie temperamentvollen und intriganten Anführerin ihrer Familie provoziert im Handumdrehen einen Streit. Nicht minder temperamentvoll kämpft Orsetta gegen diese aggressive Nachbarin und zugleich um die Liebe Beppos. Der Fischer Beppo, gerade erst an Land gekommen, rast vor Eifersucht, als er von seiner Schwester Lucietta hört, dass der etwas einfältige Fährmann Toffolo während seiner Anwesenheit mit seiner Verlobten Orsetta geflirtet haben soll.
Orsetta und ihre beiden Schwestern entfachen ebenso meisterlich bei Titta Nane, dem Verlobten Luciettas, das Feuer der Eifersucht auf Toffolo. Dabei hatte dieser nur kurz mit Lucietta geflirtet, um Checca, auf die er eigentlich ein Auge geworfen hat, zu reizen. Die so provozierten Fischer Beppo und Titta Nane lösen wutentbrannt die Verlobungen und fordern Toffolo zum Kampf heraus.
Der Streit aller eskaliert letztlich so, dass die Parteien vor den Schranken des Gerichts landen. Der pfiffige Gerichtsadjunkt Isidoro, den die sich taub stellende Donna Libera und der mit einem schlimmen Sprachfehler geschlagene Paron Fortunato fast in den Wahnsinn treiben, hört von den beteiligten Hitzköpfen kaum belastbare Vorwürfe. Trotz seiner Bemühungen um eine gütliche Einigung gerät die Sache noch einmal aus den Fugen, als sich die Frauen aufeinanderstürzen. Nur dank männlicher Autorität kann der Zwist letztlich beigelegt werden. Der neu gewonnene, wenn auch labile Frieden wird mit Umarmungen, Küssen und einer dreifachen Hochzeit besiegelt.
Goldoni: Streit in Chiozza
Spielleitung |
Beate Ladewig, Ulrike Manßen, Lukas Plöhn |
Bühne und Technik | Wilhelm Spahn, Jannes Manßen, Jordan Fischer |
Plakat | Daniela Evers |
Personen
Paron Toni, Fischer, Besitzer eines Fischkutters | Ole Töpfel |
Donna Pasqua, Paron Tonis Frau | Isabelle Lehr |
Lucietta, Paron Tonis Schwester | Marta Ahlers |
Beppo, Fischer, Paron Tonis Bruder | Justus Högemann |
Titta Nane, ein junger Fischer | Max Olthoff |
Paron Fortunato, Fischer | Jan Jerzy Stiene |
Donna Libera, Paron Fortunatos Frau | Kathrin Heibel |
Orsetta, Donna Liberas jüngere Schwester | Kira Baumann |
Checca, Donna Liberas jüngste Schwester | Svea Baumgart |
Isidoro, Adjunkt des Gerichtskanzlers | Tim Folkerts |
Toffolo, Fährmann | Nicolas Konrad |
Paron Vicenzo, Fischhändler | Neeltje Sandersfeld |
Gerichtsbüttel | Jette Haut |
Canocchia, Kürbisverkäufer | Merle Theus |
Sansuga, Isidoros Diener | Hannah Glatz |
Menola, Bootsjunge | Ida Sandersfeld |
Männer auf dem Kutter | Max Grimm, Nick Grimm, Fynn Leerhoff, Leo Rottmann |
Dorfbewohner | Jan Finke, Carmen Holthusen, Marie Lehmann |
Carlo Goldoni (1707-1793)
Bereits Goldonis Großvater und Vater waren begeisterte Theaterliebhaber. Konnte sich der Großvater in seiner Villa am Lido in Venedig sogar ein eigenes Theater leisten, musste der Vater einen Brotberuf ergreifen und seinen Lebensunterhalt als Arzt in dem nahegelegenen Fischerdorf Chioggia verdienen.
Bereits als Zehnjähriger riss der umtriebige Carlo von zu Hause aus, um sich einer Theatertruppe anzuschließen. Trotz seiner großen Theaterleidenschaft war er nach dem Tod seines Vaters jedoch erst gezwungen, Rechts-wissenschaften zu studieren und die Familie zu unterstützen. Neben seinen Tätigkeiten als Advokat und Rechtsanwalt verfasste er erste Theaterstücke, mit deren Aufführungen (z.B. „Diener zweier Herren“, uraufgeführt 1746 in Venedig) er sich bald einen Namen machte.
Schon früh fasste Goldoni den Entschluss, ein an Molière orientiertes und doch eigenständiges italienisches Lustspiel zu schaffen. Er baute dabei auf der Tradition des italienischen Volkstheaters auf und reformierte die Commedia dell’arte. Aus ihr entwickelte er seine großen Charakter- und Milieukomödien, indem er den Figuren ihre Masken und angestammten Verhaltensweisen nahm, sie zu Charakteren formte, ihnen einen festen Text gab und sie in die soziale Realität seiner Zeit stellte. Als glänzender Beobachter seiner Epoche gestaltete Goldoni echte Milieustudien, in denen er den Mikrokosmos einer Gemein-schaft schilderte. Er zeigte in seinen über 200 Stücken das geschäftige Leben des Bürgertums, den abblätternden Glanz des Adels, die natürliche Einfachheit des Volkes und das Spiel all dieser Menschen mit dem Leben – meist temperamentvoll und heiter, mitunter aber auch bedrohlich oder voll leiser Melancholie, ein Spiel, das immer auch ein Wettlauf mit dem Schicksal ist.
1757 begannen Goldonis Auseinandersetzungen mit seinem Kritiker Carlo Gozzi, der ihn als Zerstörer der Commedia dell’arte bekämpfte. Der Intrigen und Rivalitäten müde, verließ Goldoni 1762 seine Vaterstadt für immer und folgte einer Einladung der Comédie Italienne nach Paris. Dort stand er in der Gunst des Hofes, doch verlor er durch die Französische Revolution die ihm ausgesetzte Pension und starb verarmt am 6. Februar 1793 in Paris.
Goethe: Italienische Reise
„Den 10. Oktober. Nun endlich kann ich denn auch sagen, dass ich eine Komödie gesehen habe! Sie spielten heut’ auf dem Theater St. Lukas »Le Baruge Chiozzotte«, welches allenfalls zu übersetzen wäre: »Die Rauf- und Schreihändel von Chiozza«.
Die Handelnden sind lauter Seeleute, Einwohner von Chiozza, und ihre Weiber, Schwestern und Töchter. Das gewöhnliche Geschrei dieser Leute im Guten und Bösen, ihre Händel, Heftigkeit, Gutmütigkeit, Plattheit, Witz, Humor und ungezwungene Manieren, alles ist gar brav nachgeahmt. Das Stück ist noch von Goldoni, und da ich erst gestern in jener Gegend war und mir Stimmen und Betragen der See- und Hafenleute noch im Aug’ und Ohr widerschien und widerklang, so machte es gar große Freude, und ob ich gleich manchen einzelnen Bezug nicht verstand, so konnte ich doch dem Ganzen recht gut folgen. […]
Aber auch so eine Lust habe ich noch nie erlebt, als das Volk laut werden ließ, sich und die Seinigen so natürlich vorstellen zu sehen. Ein Gelächter und Gejauchze von Anfang bis zu Ende. Ich muß aber auch gestehen, daß die Schauspieler es vortrefflich machten. Sie hatten sich nach Anlage der Charaktere in die verschiedenen Stimmen geteilt, welche unter dem Volke gewöhnlich vorkommen. Die erste Aktrice war allerliebst, viel besser als neulich in Heldentracht und Leidenschaft. Die Frauen überhaupt, besonders aber diese, ahmten Stimme, Gebärden und Wesen des Volks aufs anmutigste nach. Großes Lob verdient der Verfasser, der aus nichts den angenehmsten Zeitvertreib gebildet hat. […]“
(https://www.projekt-gutenberg.org/goethe/italien/ital146.html)