Programm

Romulus der Große

In der Komödie „Romulus der Große“, 1949 in Basel uraufgeführt, frönt Kaiser Romulus in einem Landhaus fern von Rom seiner Hühnerzuchtleidenschaft. Statt sich um die römische „Weltpolitik“ zu kümmern, spielt er den Hanswurst, obwohl die Staatskasse leer ist, die Germanen sich im Vormarsch auf Rom befinden und die römischen Soldaten bereits zum Feind übergelaufen sind. Als der Kaiser sich auch noch weigert, die Nachricht vom Fall der Stadt Pavia anzuhören und in seiner wohlbedachten Passivität verharrt, resümiert der Überbringer der Botschaft, der Präfekt Spurius Titus Mamma: „Rom hat einen schändlichen Kaiser!“
Von Kriegsgräueln und Folter gezeichnet, kehrt Ämilian, designierter Schwiegersohn des Imperators, aus germanischer Gefangenschaft zurück. Als Gegenspieler des Kaisers ist er zu jedem Opfer bereit, um Rom gegen die Germanen zu verteidigen. So will er sogar auf seine Braut Rea verzichten und sie mit dem reichen Hosenfabrikanten Cäsar Rupf verheiraten, der als Gegenleistung für die Hand der Prinzessin verspricht, das Imperium mit Hilfe seines Vermögens zu retten. Doch Romulus weist das Opfer Ämilians entschieden zurück. Der enttäuschte Patriot ruft daraufhin aus, was alle denken: „Dieser Kaiser muß weg!“
In nächtlichen Unterredungen mit seiner Frau, seiner Tochter und einer Gruppe von Verschwörern, die ihn wegen Landesverrats zu ermorden trachten, offenbart Romulus die Motive für sein Nichtstun: Rom habe eine schuldbeladene, unmoralische, blutige Geschichte und damit jedes Recht auf Widerstand verwirkt. Mit dem Ruf „Die Germanen kommen!“ retten die Kammerdiener dem Kaiser das Leben, da die Verschwörer in Panik fliehen. Gelassen begibt sich Romulus daraufhin zur Ruhe und meint: „Wenn dann die Germanen da sind, sollen sie hereinkommen.“
Während seine Familie mitsamt dem Hofstaat nach Sizilien flüchtet, erwartet Romulus gefasst den eigenen Tod durch die Germanen. Doch der Germanenfürst Odoaker, ebenfalls leiden-schaft¬licher Hühnerzüchter, erweist sich überraschend nicht als Feind, sondern als Bewunderer des Kaisers. Durch ein gemeinsames Komödienspiel versuchen sie der Weltgeschichte eine neue Richtung zu geben.


Dürrenmatt: Romulus der Große

Spielleitung   Beate Ladewig, Ulrike Manßen
Bühne und Technik   Sören Bohemann, Carsten Neemann
Bühnenarbeiten   Bastian Zwingmann
Musik   Axel Domeyer, Ariana Ende,
Tim Ladewig, Birgit Oelbermann, Ilka Rademacher
Plakat   Frerk Froböse
Kulissenbau   Cara Bruns, Ava Dühring, Franziska Froböse,
Ann-Kathrin Lück, Lena Temmen

Personen

Romulus Augustus, Kaiser von Westrom   Christoph Bredemeyer
Julia, seine Frau   Danja Mourad
Rea, seine Tochter   Verena Galitchi
Zeno der Isaurier, Kaiser von Ostrom   Nico Linn
Ämilian, Römischer Patrizier   Rieke Peters
Mares, Kriegsminister   Tim Leuchters
Tullius Rotundus, Innenminister   Talke Heidkroß
Spurius Titus Mamma, Reiterpräfekt   Bodo Neemann
Achilles, Kammerdiener   Fabian Mäckler
Pyramus, Kammerdiener   Kosima Leonhard
Apollyon, Kunsthändler   Kevin Janßen
Cäsar Rupf, Industrieller   Gesche Huger


Phylax, Schauspieler   Tim Schrader
Odoaker, Fürst der Germanen   Marcel Bohemann
Theoderich, sein Neffe   Tim Nienaber
Phosphoridos, Kämmerer   Kristina Hacker
Sulphurides, Kämmerer   Carolin Zwingmann
Ein Koch   Pascal Bratje
Dienstmänner   Marie-Christin Beeken, Sönke Brakenhoff,
Cara Bruns, Ava Dühring
Eilboten   Franziska Froböse, Nicola Wendt
Germanen   Wiebke Ahlers, Marie-Christin Beeken, Sönke Brakenhoff,
Cara Bruns, Johanna Dägling, Ava Dühring,
Franziska Froböse, Julia Heibült, Wiebke Karwath,
Sebastian Meyer, Wiebke Meyer, Nicola Wendt
Hof   Iona Berger, Lena Herwig, Felicitas Kotzias,
Verena Rehbaum, Jantje Sammtleben

Zeit: Vom Morgen des 15. bis zum Morgen des 16. März
vierhundertsechsundsiebzig nach Christi Geburt

Ort: Villa des Kaisers Romulus in Campanien

Geschrieben im Winter 1948/49

Uraufführung im Stadttheater Basel
am 23. April 1949


Romulus der Große

Romulus Augustus war 16, als er Kaiser wurde, 17, als er abdankte und in die Villa des Lukull nach Campanien zog. Die Pension betrug 6000 Goldmünzen, und seine Lieblingshenne soll Roma geheißen haben. Das ist das Historische. Die Zeit nannte ihn Augustulus, ich machte ihn zum Mann, dehnte seine Regierungszeit auf 20 Jahre aus und nenne ihn den >Großen<.
Es ist vielleicht wichtig, daß man mich gleich versteht: Es geht mir nicht darum, einen witzigen Mann zu zeigen. Hamlets Wahnsinn ist das rote Tuch, hinter dem sich der Degen verbirgt, der Claudius gilt, Romulus gibt einem Weltreich den Todesstoß, das er mit seinem Witz hinhält. Auch lockte es mich, einmal einen Helden nicht an der Zeit, sondern eine Zeit an einem Helden zugrunde gehen zu lassen. Ich rechtfertige einen Landesverräter. Nicht einen von denen, die wir an die Wand stellen mußten, aber einen von denen, die es nie gibt. Kaiser rebellieren nicht, wenn ihr Land unrecht hat. Sie überlassen dies den Laien und nennen es Landesverrat, denn der Staat fordert immer Gehorsam. Aber Romulus rebelliert. Auch wenn die Germa-nen kommen. Dies sei gelegentlich zur Nachahmung empfohlen.
Ich will mich präzisieren. Ich klage nicht den Staat, der recht, sondern den Staat an, der unrecht hat. Das ist ein Unterschied. Ich bitte, den Staaten scharf auf die Finger zu sehen, und sehe ihnen scharf auf die Finger. Es ist nicht ein Stück gegen den Staat, aber vielleicht eins gegen den Großstaat. Man wird meine Worte sophistisch nennen. Das sind sie nicht. Dem Staat gegenüber soll man zwar klug wie eine Schlange, aber um Gottes willen nicht sanft wie eine Taube sein.
Es handelt sich nur um Binsenwahrheiten. Aber heute ist eine Zeit, in der es leider nur noch um Binsenwahrheiten geht. Tiefsinn ist Luxus geworden. Das ist das etwas Peinliche unserer Situation und die besondere Schwierigkeit, sich schriftstellerisch mit ihr auseinander-zusetzen. Ich will nicht unsere Mängel mit der Zeit ausreden, doch sollte auch die Zeit uns ausreden lassen. Sie fährt uns aber immer wieder mit ihren Handlungen über den Mund. Wir haben es nicht leicht.

Friedrich Dürrenmatt
Geschrieben 1949 für das Programmheft der Uraufführung im Stadttheater Basel


„Wer so aus dem letzten Loch pfeift wie wir alle, kann nur noch Komödien verstehen.“
F. Dürrenmatt, Komödien, Zürich 1957, S. 20

„Doch auch damit wird unsere mit allen Wassern gewaschene Zeit fertig, und durch nichts läßt sie sich beikommen: Sie hat das Publikum erzogen, in der Kunst etwas Weihevolles, Heiliges, Pathetisches zu sehen. Das Komische gilt als das Minderwertige, Dubiose, Unschickliche, man läßt es nur gelten, wo es einem so kannibalisch wohl wird als wie fünfhundert Säuen. Doch in dem Moment, wo das Komische als das Gefährliche, Aufdeckende, Fordernde, Moralische erkannt wird, läßt man es fahren wie ein heißes Eisen, denn die Kunst darf alles sein, was sie will, wenn sie nur gemütlich bleibt.“

F. Dürrenmatt, Theaterprobleme, Zürich 1955, S. 56

„Es scheint mir entscheidend, daß Dürrenmatt nicht einfach den Ausverkauf einer Kultur zeigt, was eine zynische oder sarkastische Farce lieferte und weiter nichts, sondern im Mittelpunkt einen Menschen, der diesen Ausverkauf vollzieht im Sinne einer Erkenntnis, im Sinne einer unerschütterlichen Bejahung.“

Max Frisch / Die Weltwoche, Zürich

„Mit einem Sinn für Absurdität, hinter dem sich Reife und Intelligenz verbergen, macht sich Romulus der Große lustig über die Aufgeblasenheit der Vergangenheit und wirft einige scharfsinnige Blicke auf die Gegenwart.“

Howard Taubman / The New York Times