Programm
Carlo Goldoni (1707-1793)
Bereits als Zehnjähriger riss Carlo von zu Hause aus, um sich einer Theatertruppe anzuschließen. Trotz seiner Theaterleidenschaft war der Bürgersohn nach dem Tod seines Vaters gezwungen, Rechtswissenschaften zu studie-ren und die Familie zu unterstützen. Neben seinen Tätig-keiten als Advokat verfasste er erste Theaterstücke, mit deren Aufführungen (z.B. „Diener zweier Herren“, urauf-geführt 1746 in Venedig) er sich bald einen Namen machte.
Schon früh fasste Goldoni den Entschluss, ein an Molière orientiertes und doch eigenständiges italienisches Lustspiel zu schaffen. Er baute dabei auf der Tradition des italienischen Volkstheaters auf und reformierte die Commedia dell’arte. Aus ihr entwickelte er seine große Charakter- und Milieukomödie, indem er den Figuren ihre Masken und angestammten Verhaltensweisen nahm, sie zu Charakteren formte, ihnen einen festen Text gab und sie in die soziale Realität seiner Zeit stellte. Als glänzender Beobachter seiner Epoche gestaltete Goldoni echte Milieustudien. Er zeigte in seinen über 200 Stücken das geschäftige Leben des Bürgertums, den abblätternden Glanz des Adels, die natürliche Einfachheit des Volkes und das Spiel all dieser Menschen mit dem Leben – nicht immer nur temperamentvoll und heiter, sondern mitunter auch bedrohlich oder voll leiser Melancholie.
1757 begannen Goldonis Auseinandersetzungen mit Carlo Gozzi, der ihn als Zerstörer der Commedia dell’arte bekämpfte. Der Intrigen und Rivalitäten müde, verließ Goldoni 1762 seine Vaterstadt und folgte einer Einladung der Comédie Italienne nach Paris. Dort stand er in der Gunst des Hofes, doch verlor er durch die Französische Revolution seine Pension und starb verarmt am 6. Februar 1793 in Paris.
Goldoni: Der Fächer
Spielleitung Beate Ladewig, Ulrike Manßen
Bühne und Technik Torben Eilers, Malte Hoff, Tristan Oltmanns
Kulissenbau Mitglieder des Ensembles
Plakat Malte Hoff, Beate Ladewig, Ulrike Manßen
Personen
Geltruda, eine Witwe Inken Rüdebusch
Candida, ihre Nichte Cosima Lippert
Graf von Roccamonte Maximilian Reicht
Baron del Cedro Lars Martens
Evaristo, ein junger Herr aus der Stadt Sören Lindemann
Timoteo, Apotheker Julia Keller
Giannina, eine junge Bäuerin Nadine Willms
Moracchio, Bauer, Gianninas Bruder Dominik Stöhr
Susanna, Krämerin Rusanna Yesajan
Coronato, Wirt Kilian Winter
Crespino, Schuhmacher Patrick Kazperoski
Limoncina, Kellnerin Hiske Feenders
Tognina, Geltrudas Dienerin Sarah Schumacher
Scavezzo, Coronatos Bediensteter Daike Specht
Francesca, Timoteus´ Bedienstete Eske Giesmann
Kaffeehausgäste Kea Brunken, Ann-Kathrin Hellwig, Philipp Glück
Dorfbewohner Celvin Bölts, Lorena Heibült, Anna Hobbiebrunken
Thorge Schulte
Zeit: Mitte des 18. Jahrhunderts
Ort: ein Dorf bei Mailand
Entstehung: 1763 / 1765
Uraufführung: in Venedig, im Mai 1765
Rechte: Verlag der Autoren
Schleusenstraße 15, 60327 Frankfurt am Main
Nachwort
Il ventaglio ist einer der faszinierendsten Texte von Carlo Goldoni, ein vollkommenes Räderwerk, ein Uhrwerk, das ein Fresko des krisengeschüttelten 18. Jahrhunderts malt. Am 25. Februar 2007 hätte Goldoni seinen 300. Geburtstag gefeiert. Aus diesem Anlass legte Geraldine Gabor mit „Der Fächer“ eine seiner letzten italienischen Komödien eine Neuübersetzung vor. Sie selbst kommentiert das Werk und ihre Arbeit:
„Die Komödie Der Fächer stammt aus Goldonis Pariser Zeit. Er hatte 1761 auf Einladung des französischen Hofs die Aufgabe übernommen, der berühmten, aber herunter-gekommenen Pariser Comédie Italienne wieder zu Ansehen zu verhelfen. Aber weder das Niveau der Truppe noch die Sprachsituation erlaubten ihm, seine Theaterreform fortzuführen. Die Schauspieler weigerten sich, auswendig zu lernen; und sie hatten sogar recht mit dem Argument, das Publikum könne mit dem Italienisch nichts anfangen. Goldoni blieb nichts übrig, als zum Stegreiftheater zurückzukehren und es gar noch mit französisch spre-chenden Personen auszustaffieren. In dieser (verlorenen) Fassung fiel 1763 die Komödie L´éventail durch.
Goldoni wusste aber sehr gut, was ein Entwurf wert war, der ‚aus vielen kurzen und prickelnden Szenen besteht, belebt von nie abreißender Handlung und ständiger Bewegung, so dass die Schauspieler nichts zu tun brauchen, als mehr durch Agieren als durch Worte zu wirken.’ Er arbeitete die Skizze aus und hatte mit Il ventaglio 1765 im fernen Venedig einen seiner größten Erfolge.
Wie Streit in Chiozza ist Der Fächer ein volkreiches Stück, dessen Handlung sich an einem Nichts entzündet. Wohl kein anderes Stück Goldonis lebt so von einer Fülle kleiner Handlungen bei so knappem Dialog. Zweimal kommt es sogar ganz ohne Worte aus: in der Eröffnungsszene, die alle ‚dramatis personae’ auf einem Dorfplatz bei ihrer täglichen Beschäftigung vorstellt — den Schuster hämmernd, den Apotheker Medizin stoßend, die Bäuerin beim Spinnen und die Standespersonen in ihrem Müßiggang —‚ und am Anfang des dritten Akts, der denselben Zustand noch mit einer Fülle von Pantomime durchflicht.
Der Fächer erlebt eine Odyssee durch die Hände fast aller Personen: er wird verkauft, anvertraut, abgezwungen, verloren, gestohlen, versteckt, verschenkt und wieder zurückverlangt, ehe er endlich die Person erreicht, der er von Anfang an zubestimmt war. Die sporadische Berührung mit dem Fächer macht die Charaktere und die zwischen ihnen waltenden Spannungen sichtbar; in den Sympathien, die (wie immer bei Goldoni) den einfachen Leuten gelten, und der Antipathie gegen den Adel tönt leise schon das Grollen der Französischen Revolution auf.
Alle Rollen sind interessant; am neuartigsten wohl die des empfindsam liebenden jungen Bürgers, des Antihelden, der in der Aufregung des Duell- Entschlusses ohnmächtig wird und auf dem Höhepunkt seines Kummers fest einschläft.
Im Gegensatz zu den Konversationskomödien Goldonis war Der Fächer leicht zu bearbeiten — schon durch eine Übersetzung mehr dem Sinn als dem Wort nach war eine Lakonisierung zu erzielen, die dem Stück das ‚Altmodische’ austreibt, ohne es seiner Patina zu berauben.
Geraldine Gabor